Schwarzspitzen riffhai carcharhinus melanopterus

Haie als Hightech-Vorbilder: Die Wirbelsäule des Schwarzspitzenhais als Zukunftsmaterialien

Seit über 450 Millionen Jahren durchqueren Haie die Weltmeere – mit Skeletten, die nicht aus Knochen, sondern aus mineralisiertem Knorpel bestehen. Besonders die Wirbelsäule von Schwarzspitzen-Riffhaien erweist sich dabei als biomechanisches Wunderwerk: Sie funktioniert wie eine Spiralfeder, speichert Energie bei jedem Schwanzschlag und ermöglicht sogar akrobatische Sprünge aus dem Wasser.

Hightech unter dem Mikroskop: Knorpelstruktur in 3D

Ein internationales Forschungsteam der Florida Atlantic University (FAU), des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) und der US-Behörde NOAA Fisheries hat nun mithilfe von Synchrotron-Nano-Tomografie die innere Architektur der Hai-Wirbel auf Nanometerebene sichtbar gemacht. Die Untersuchungen offenbaren ein zweischichtiges System: Eine harte Außenschicht (Corpus calcareum) umgibt einen weicheren Kern (Intermediale). Beide Zonen bestehen aus Kollagenfasern, durchzogen von Bioapatit – dem gleichen Kalziumphosphat, das auch menschliche Knochen versteift.

Das Besondere: Die Struktur erinnert an mikroskopisch feines Sperrholz. Helikal gewundene Faserlagen durchziehen die Knorpelmasse und verhindern das unkontrollierte Ausbreiten von Rissen. Durch diese raffinierte Architektur kann die Wirbelsäule selbst starken Biege- und Druckbelastungen standhalten – ein entscheidender Vorteil für Tiere, die sich dauerhaft in Bewegung befinden.

„Die Natur schafft bemerkenswert widerstandsfähige Materialien durch die Kombination von Mineralien mit biologischen Polymeren wie Kollagen“, erklärt Studienleiterin Vivian Merk, Professorin für Chemie, Maschinenbau und Biomedizintechnik an der FAU. „Wenn wir verstehen, wie Haie solche robusten und gleichzeitig flexiblen Strukturen aufbauen, können wir neue, leistungsfähigere Werkstoffe entwickeln.“

Von der Tiefsee ins Techniklabor

Die Erkenntnisse sind nicht nur faszinierend, sondern potenziell bahnbrechend: Die mehrlagige „Sharkitecture“ – ein Begriff, den das Forschungsteam prägte – könnte als Vorlage für die Entwicklung innovativer Materialien dienen. Denkbar sind bruchsichere Verbundstoffe, leichtere Schutzwesten oder langlebige Gelenkimplantate.

Gerade die Kombination aus Leichtigkeit und Stabilität macht das Hai-Skelett so interessant. Anders als Knochenfische bilden Haie zeitlebens keinen festen Knochenskelett, sondern behalten ihren Knorpel – strategisch verstärkt durch mineralisierte Strukturen. Diese Evolution hin zur Gewichtsersparnis bei maximaler Widerstandsfähigkeit könnte auch für Anwendungen in der Luft- und Raumfahrt oder Medizintechnik Modell stehen.

„Dieses Forschungsprojekt zeigt, was interdisziplinäre Zusammenarbeit leisten kann“, betont Stella Batalama, Dekanin der Ingenieurfakultät an der FAU. „Ingenieurwesen, Biologie und Materialwissenschaften greifen hier ideal ineinander.“

Auch Co-Autorin Marianne Porter, Professorin für Biowissenschaften, ist überzeugt: „Die Wirbelsäule des Schwarzspitzenhais ist ein Paradebeispiel dafür, wie Natur mit einfachen Grundstoffen – Protein und Mineral – hochkomplexe, leistungsfähige Strukturen erschafft. Daraus können wir für viele technische Anwendungen lernen.“

Biomimetik mit Biss: Das Potenzial der Hai-Forschung

Die Studie reiht sich ein in eine wachsende Zahl von Forschungsarbeiten, die von der Natur inspirierte Technologien entwickeln – etwa Filter nach dem Vorbild von Mantas oder Tarnmechanismen, inspiriert von Tintenfischen. Der Schwarzspitzenhai erweitert nun dieses Arsenal um ein weiteres Kapitel: belastbare, flexible Materialstrukturen aus der Tiefsee.

Zukünftige Studien sollen weitere Haiarten, Lebensstadien und Umweltbedingungen untersuchen. Unterschiedlich mineralisierte Knorpel etwa bei Hammerhaien oder Tiefseearten wie Laternenhaien könnten neue architektonische Varianten enthüllen – jeweils optimiert für besondere Schwimmstile oder Druckverhältnisse.

Quellen